Positiver Gleitzeitsaldo oder Überstunden?

In den letzten Jahrzehnten sind flexible Arbeitszeitmodelle entstanden, die der Arbeitnehmerin eine flexible Gestaltung ihrer Arbeitszeit ermöglichen. Eines der populärsten Arbeitszeitmodelle stellt das Gleitzeitmodell dar. Allerdings wirft das Gleitzeitmodell einige rechtliche Fragen auf, insbesondere in Bezug auf die Überstunden. Wir möchten Dir als Arbeitgeberin aufzeigen, welche Risiken das Gleitzeitmodell beinhaltet und wie Du eine Überstundenauszahlung im Gleitzeitmodell verhindern kannst.

Was sind Überstunden?

Unter Überstundenarbeit i.S.v. Art. 321c OR versteht man jede Arbeit, die über die im Einzel-, Normal- oder Gesamtarbeitsvertrag vereinbarte Zeit hinausgeht, aber die wöchentliche Maximalarbeitszeit von 45 oder 50 Stunden nicht überschreitet. Wenn die Maximalarbeitszeiten überschritten werden, spricht man von sogenannten Überzeitstunden. Die Überstundenentschädig kann im Gegensatz zur Entschädigung der Überzeitstunden von der Arbeitgeberin vertraglich wegbedungen werden.
 
Die Pflicht zur Leistung von Überstunden setzt deren Zumutbarkeit für die Arbeitnehmerin voraus. Wenn die Mehrarbeit die Leistungsfähigkeit der Arbeitnehmerin übersteigt, liegt ein Fall der Unzumutbarkeit vor. Zudem muss die Mehrarbeit von der Arbeitgeberin angeordnet werden oder sich als betrieblich notwendig erweisen.
 

Was bedeutet Gleitzeit?

 Bei der Gleitzeit handelt es sich um eine Form der flexiblen Arbeitszeitgestaltung, bei der die Arbeitnehmerinnen ihre Arbeitszeit in einem bestimmten Rahmen selbst einteilen können. Die Gleitzeit ist gesetzlich nicht geregelt und muss deshalb zwingend in einer schriftlichen Vereinbarung wie bspw. in einem Arbeitsvertrag oder einem Reglement festgehalten werden.
 
Durch die Vereinbarung des Gleitzeitmodells erhält die Arbeitnehmerin die Zeitautonomie. Eine Kombination mit Blockzeiten ist selbstverständlich zulässig. Am Ende des Monats sollte die Arbeitnehmerin die vereinbarte «Sollzeit» erfüllen. Dadurch können sich Minus- oder Plusstunden, auch negativer und positiver Gleitzeitsaldo genannt, anhäufen.
 

Unterscheidung zwischen einem positiven Gleitzeitsaldo und Überstunden

 Ein positiver Gleitzeitsaldo wird, mit Ausnahme der betrieblich notwendigen Mehrarbeit, aus freiem Willen der Arbeitnehmerin über die vereinbarten Arbeitsstunden hinaus geleistet. Die Arbeitnehmerin erarbeitet sich den positiven Gleitzeitsaldo in der Absicht zur späteren selbstständigen Kompensation der Mehrstunden durch Freizeit.
 
Überstunden hingegen werden immer aufgrund betrieblicher Notwendigkeit oder auf Anordnung der Arbeitgeberin geleistet. Folglich erscheint die Abgrenzung auf den ersten Blick relativ einfach. Nichtsdestotrotz streiten sich Arbeitgeberin und Arbeitnehmerin nach beendetem Arbeitsverhältnis regelmässig über die Qualifikation der erbrachten Mehrarbeit. Überstunden und positiver Gleitzeitsaldo lassen bei der Arbeitnehmerin unterschiedliche Rechtsansprüche entstehen. Nachfolgend sollen diese Unterschiede näher erklärt werden.
 

Kompensation der Überstunden und des positiven Gleitzeitsaldos

 Überstunden werden gem. Art. 321c Abs. 3 OR mit Freizeit oder dem Normallohn samt einem Zuschlag von mindestens 25% ausgeglichen, wenn vertraglich nichts Anderes verabredet ist. Im Ersten Fall entsteht der Anspruch auf Überstundenvergütung erst, wenn keine Einigung über einen Freizeitausgleich zustande kommt.
 
Beim Gleitzeitmodell ist die Arbeitnehmerin selbst verantwortlich, dass sie ihre Soll-Arbeitszeit auf wöchentlicher, monatlicher oder jährlichen Basis erreicht. Die Verantwortlichkeit für den Abbau des positiven Gleitzeitsaldos liegt ebenfalls bei der Arbeitnehmerin. Der positive Gleitzeitsaldo wird grundsätzlich nicht entschädigt, sondern mit Freizeit von gleicher Dauer kompensiert. Der Ausgleich muss allerdings bis zum Ende der vereinbarten Gleitzeitperiode und, beim Fehlen einer solchen Vereinbarung, spätestens bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses erfolgen. Ansonsten verfällt der positive Gleitzeitsaldo in der Regel entschädigungslos.
 

Entschädigung der Mehrarbeit im Gleitzeitmodell

 Grundsätzlich wird der positive Gleitzeitsaldo nicht als Überstunden i.S.v. Art. 321c OR qualifiziert und verfällt ohne Kompensation bis zum Ende der vereinbarten Gleitzeitperiode vollständig. Das Bundesgericht hält dazu fest, dass die Entschädigung des positiven Gleitzeitsaldos ausnahmsweise möglich ist, wenn die Kompensation solcher Guthaben aufgrund betrieblicher Bedürfnisse oder anderslautende Weisungen des Arbeitsgebers innerhalb des vereinbarten Gleitzeitrahmens und unter Einhaltung etwaiger Blockzeiten nicht möglich ist. In diesem Fall werden Mehrstunden nicht als positives Gleitzeitgutgaben, sondern als Überstunden qualifiziert. Diese Überstunden sind von der Arbeitgeberin zu entschädigen. Allerdings liegt die Beweislast für das Vorliegen von abgeltungspflichtigen Überstunden bei der Arbeitnehmerin.
 
Ähnlich gestaltet sich die Rechtslage bei einer fristlosen Kündigung: Die Arbeitnehmerin hat keine Möglichkeit, den positiven Gleitzeitsaldo fristgerecht abzubauen, da das Arbeitsverhältnis unmittelbar beendet wird. Unter diesen Umständen verfällt die geleistete Mehrarbeit nicht. Sie ist vom Arbeitsgeber zu entschädigen.
 

Betrieblich notwendige Mehrarbeit im Gleitzeitmodell

 Überstunden i.S.v. Art. 321c OR können im Gleitzeitmodell ebenfalls bei betrieblich notwendiger Mehrarbeit der Arbeitnehmerin vorliegen. In diesem Falle wird die Arbeitnehmerin in ihrer Zeitautonomie eingeschränkt und zur Leistung von Mehrarbeit verpflichtet. In der Praxis ist die Unterscheidung zwischen der betrieblich notwendigen Mehrarbeit und dem freiwillig aufgebauten positiven Gleitzeitsaldo oftmals schwierig. Als Abgrenzung dient das folgende Kriterium: Eine ausgeführte Arbeit, die den Arbeitgeberinteressen dient, jedoch keine zeitliche Dringlichkeit mit sich bringt, ist keine betrieblich notwendige Arbeit.
 
Bei der betrieblich notwendigen Mehrarbeit im Gleitzeitmodell handelt es sich allerdings nur dann um Überstunden, wenn am Ende der Gleitzeitperiode ein über die Normalarbeitszeit hinausgehender Zeitüberschuss besteht. Der Arbeitnehmerin steht es folglich frei, die betrieblich notwendigen Mehrarbeitsstunden im Rahmen ihres Gleitzeitkontos zu kompensieren oder die Mehrstunden «stehen zu lassen», wodurch am Ende der Gleitzeitperiode Überstunden i.S.v. Art. 321c OR vorliegen. Die Beweislast für das Vorliegen von betrieblich notwendigen Überstunden trifft die Arbeitnehmerin.
 

Fazit

 Überstunden und der positive Gleitzeitsaldo müssen klar voneinander getrennt werden, da sie unterschiedliche Rechtsfolgen auslösen. Die Mehrstunden im Gleitzeitmodell sind nur in wenigen Fällen zu entschädigen. Damit Du am Ende des Arbeitsverhältnisses nicht mit einer überhöhten Entschädigungsforderung einer Arbeitnehmerin konfrontiert wirst, weil die Kompensation des Gleitzeitsaldos nicht möglich war, empfehlen wir Dir ein regelmässiges Zeit-Monitoring Deiner Mitarbeiter vorzunehmen.
 
Um den Überblick nicht zu verlieren, kann die vertragliche Vereinbarung einer Saldoobergrenze hilfreich sein.
 
Gerne sind wir Dir bei der Ausgestaltung von vertraglichen Regelungen im Gleitzeitmodell behilflich.

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