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Bürgschaft oder Solidarhaftung? Praxisprobleme im Lichte des Urteils CACIV2023.82 vom 11. Dezember 2023
Die Schuldübernahme mit einer Bürgschaft
Mit einem Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge, für die Erfüllung einer Schuld des Hauptschuldners einzustehen. Ein solcher Vertrag kann zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger durch übereinstimmende Willenserklärungen abgeschlossen werden.
Damit eine Bürgschaft gültig zustande kommt, ist eine schriftliche Erklärung des Bürgen erforderlich. Diese sogenannte Bürgschaftserklärung beinhaltet die Zusage, als Bürge für eine bestimmte Schuld einzustehen. Der Gläubiger muss die Bürgschaftserklärung mindestens stillschweigend annehmen. Zudem muss der Bürge in der Bürgschaftsurkunde einen konkreten Maximalbetrag seiner Haftung angeben. Es genügt nicht, die Haftungssumme nur in der ersten Willenserklärung an den Gläubiger zu nennen. Die Mitwirkung des Hauptschuldners ist jedoch nicht nötig, um einen Bürgschaftsvertrag gültig abzuschliessen.
Wird die Bürgschaftserklärung von einer natürlichen Person abgegeben und übersteigt die Haftungssumme CHF 2'000.00, ist eine öffentliche Beurkundung erforderlich.
Solange die Vertragsparteien nichts anderes vereinbaren, entstehen aus der Bürgschaft grundsätzlich nur Rechte für den Gläubiger. Dabei gilt, dass der Gläubiger den Bürgen nur für die Schuld verpflichten kann, die ausdrücklich im Bürgschaftsvertrag genannt ist.
Obwohl eine Bürgschaft besteht, liegt das Interesse an der Vertragserfüllung weiterhin primär beim Hauptschuldner. Der Bürge haftet nur subsidiär und ausschliesslich im Rahmen der im Bürgschaftsvertrag vereinbarten Bedingungen.
Die Schuldübernahme mit einer formfreien Solidarschuld
Unter Schuldnern bedeutet Solidarität, dass der Gläubiger von jedem einzelnen Schuldner die Erfüllung einer Leistung verlangen kann. Die Verpflichtung der Schuldner besteht, bis die gesamte Leistung erbracht ist. Eine solche Konstellation entsteht, wenn zwischen einem Gläubiger und mehreren Schuldnern ein gemeinsames Schuldverhältnis besteht. Die Beziehung der Schuldner untereinander bildet die Grundlage für dieses gemeinsame Schuldverhältnis gegenüber dem Gläubiger.
Die Ansprüche des Gläubigers basieren auf diesem gemeinsamen Schuldverhältnis, wobei die Solidarschuld aus einer Mehrheit von Verpflichtungen besteht. Dies bedeutet, dass dem Gläubiger nicht eine einzige Forderung gegen alle Schuldner gemeinschaftlich zusteht, sondern mehrere eigenständige Forderungen gegen jeden einzelnen Schuldner.
Der Abschluss einer Solidarschuldnerschaft ist grundsätzlich formfrei möglich. Liegt jedoch in einem Streitfall keine öffentlich beurkundete Vertragsurkunde vor, wird ein Richter nur zögerlich das Vorliegen einer Solidarschuld annehmen.
Die gültige Schuldübernahme mit einer formfreien Solidarschuld
Wie können die Vertragsparteien also die Anforderungen einer Bürgschaft – insbesondere die öffentliche Beurkundung – umgehen und dennoch ein gültiges, formfreies Rechtsgeschäft abschliessen, das im Streitfall auch vom Richter anerkannt wird? Mit dieser Frage setzte sich das eingangs erwähnte Urteil CACIV.2023.82 des Kantonsgerichts Neuenburg vom 11. Dezember 2023 auseinander.
Die Solidarhaftung ist nur gültig, «wenn eine Person ausdrücklich ihre solidarische Verpflichtung verspricht und die von einem anderen versprochene Zahlung garantiert, indem sie dem Gläubiger erklärt, dass sie unter dem gleichen Titel für die gleiche Leistung wie der Schuldner in Anspruch genommen werden kann.»
Daraus ergibt sich, dass der Übernehmer der Schuld ausdrücklich und unmissverständlich dem Gläubiger seine solidarische Verpflichtung erklären muss. Dabei garantiert der Übernehmer, dass er die vom Schuldner aus dem Hauptgeschäft versprochene Leistung übernimmt.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist eine formfreie Übernahme der Solidarschuld nur gültig, wenn eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
- Kenntnis Sicherungsverträge
Die Haftung einer Person durch Solidarübernahme ist nur gültig, «wenn sie aufgrund ihrer Ausbildung oder Tätigkeit mit Sicherungsverträgen vertraut ist und das in diesem Bereich gebräuchliche schweizerische Rechtsvokabular kennt.»
Das bedeutet, die Vereinbarung ist nur dann wirksam, wenn der Garant mit Sicherungsverträgen und den relevanten Begriffen des schweizerischen Rechts vertraut ist.
Das Bundesgericht geht davon aus, dass diese Voraussetzung insbesondere international tätige Firmengruppen oder schweizerische Bankinstitute erfüllen. Bei einer natürlichen Person ist die Voraussetzung erfüllt, wenn sie beispielsweise als Verwaltungsrat oder Direktor regelmässig mit Sicherungsverträgen zu tun hat. Auch Personen mit juristischer Ausbildung oder Erfahrung in der Kreditbeschaffung gelten als geschäftserfahren und damit als ausreichend informiert.
- Vertragliche Vereinbarung
Fehlt die spezifische Kenntnis von Sicherungsverträgen, muss laut Bundesgericht aus der Vereinbarung klar hervorgehen, dass der Garant die Tragweite seiner Verpflichtung vollständig versteht. Auch muss erklärt sein, warum auf die Wahl der Rechtsform einer Bürgschaft verzichtet wurde.
Die blosse Wiedergabe der gesetzlichen Formulierung zur Solidarschuld oder ein allgemeiner Hinweis darauf, dass der Garant auf seine Verpflichtung hingewiesen wurde, genügt nicht. Ebenso reicht eine kurze Erklärung oder Besprechung der Klausel nicht aus. Denn damit sei nicht sichergestellt, dass der Garant die Tragweite seiner Verpflichtung tatsächlich versteht.
Damit befasste sich auch das Urteil CACIV.2023.82 des Kantonsgericht Neuenburg: In diesem Fall wurde in einem Mietvertrag der Gesetzestext zur Solidarschuld übernommen. Zudem wurde der Garant von der Vermieterin auf die Tragweite seiner Verpflichtung aufmerksam gemacht und ihm wurde erklärt, welche Folgen seine Unterschrift haben wird. Das Kantonsgericht erachtete den Hinweis und die Aufklärung jedoch als ungenügend, da der Garant eben gerade nicht über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügte, die es ihm ermöglicht hätten, die Bedeutung und die Tragweite hieraus vollständig zu verstehen.
- Interesse des Garanten
Eine Solidarverpflichtung kann auch dann begründet sein, wenn der Garant ein eigenes, direktes und materielles Interesse an der Erfüllung der Verpflichtung hat oder daraus einen Vorteil zieht. Der Gläubiger muss über dieses Interesse oder den Vorteil informiert sein und wissen, warum der Garant bereit ist, eine identische Verpflichtung wie der Schuldner zu übernehmen.
Hierbei ist jedoch zu beachten, dass persönliche Unterstützung, wie etwa für einen Verwandten oder Freund bei der Zusage einer Wohnung, die nicht gemeinsam genutzt wird, nicht als direktes und materielles Interesse gewertet wird. In solchen Fällen fehlt das erforderliche Interesse am Vertrag.
- Beweislast des Gläubigers
Zu all dem kommt hinzu, dass dem Gläubiger in einem Streitfall die Beweiserbringung obliegt. Er muss nachweisen, dass der Garant vollständig über den Inhalt der Schuldübernahme informiert wurde und die Tragweite seiner Verpflichtung tatsächlich verstanden hat oder dass der Garant aufgrund seiner Ausbildung genügend Kenntnis über Sicherungsveträge aufweist.
Schlussfolgerung
Die Übernahme einer Schuld durch eine Bürgschaft erfordert zwar eine notarielle Beurkundung und ist damit aufwändiger, bietet dem Gläubiger jedoch deutlich mehr Sicherheit und vermeidet Beweisschwierigkeiten.
Entscheiden sich die Parteien stattdessen für die formfreie Solidarhaftung, muss der Garant dem Gläubiger seine solidarische Verpflichtung ausdrücklich und unmissverständlich erklären. Darüber hinaus muss mindestens eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt sein und durch den Gläubiger bewiesen werden können:
- Der Garant verfügt über Kenntnis von Sicherungsverträgen und dem einschlägigen Rechtsvokabular;
- aus der vertraglichen Urkunde geht hervor, dass der Garant die Tragweite seiner Verpflichtung versteht und klar ist, warum auf die Rechtsform der Bürgschaft verzichtet wurde; oder
- der Garant hat ein eigenes, direktes und materielles Interesse an der Erfüllung der Verpflichtung oder zieht daraus einen Vorteil.